Das Partizip - lösend oder auflösend?
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erklärte jüngst, dass sie das Gendersternchen - oder auch den Doppelpunkt oder Unterstrich - für nicht konform mit der deutschen Grammatik und Rechtschreibung halte und eine Lösung unter anderen im Partizip Präsens sehe - Teilnehmende statt Teilnehmer*innen, Studierende statt Student*innen, Helfende statt Helfer*innen etc.. Was aber tun mit Wörtern wie Kund*in, Ärzt*in oder Bäuer*in? Sind das dann Kaufende bzw. Dienstleistungsinanspruchnehmende bzw. Dienstleistungsbeanspruchende, Heilende und Lebensmittelerzeugende? Und ist das grammatikalisch korrekt? Mal ganz abgesehen von der Lesbarkeit solcher Wörter.
Bei Bauern und Bäuer*innen mag das Partizip grammatikalisch sogar noch gerechtfertigt sein, denn sie erzeugen vermutlich fast ununterbrochen Lebensmittel - außer sie schlafen gelegentlich. Bei Kunden bzw. Kund*innen oder Arzt und Ärzt*in wird es schon kniffliger. Denn Menschen sind nicht ununterbrochen dabei, einzukaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, und medizinische Fachkräfte heilen auch nicht in jedem Moment ihres Lebens.
Müssten sie aber, wenn das Partizip die Person beschreiben soll. Das Partizip drückt nämlich Handlungen aus, die gleichzeitig passieren, oder beschreibt, in welchem Zustand sich etwas oder jemand befindet. Da ein Zustand jedoch eine augenblickliche Situation beschreibt, müsste der bzw. die Studierende alle Augenblicke ihres bzw. seines Lebens studieren, der bzw. die Kaufende jeden Moment seines bzw. ihres Tages einkaufen. Und Menschen, die an Hochschulen lernen, studieren nicht immer nur, sondern sie sind manchmal auch Trinkende, Feiernde, Liebende, Schlafende und auch Kaufende oder Dienstleistungen in Anspruch Nehmende.
Immer dann, wenn aus einem Verb ein substantivierter Zustand wird, kann man großzügig ausgelegt in manchen Fällen sicher das Partizip verwenden. Dafür spricht, dass sich Student*innen als Studierende in einer Phase ihres Lebens befinden, in der sie studieren, also im Zustand des Studierens stecken.
Bei „Teilnehmenden“ bin ich kleinlicher, denn ein*e Seminarteilnehmer*in befindet sich genau dann im Zustand der Teilnahme, wenn sie*er im Seminarraum sitzt und zuhört, nicht davor und nicht danach. Ebenso verhält es sich mit Reisenden. Sie sind nur in der Zeit Reisende, in der sie unterwegs sind, sobald sie am Urlaubsort angekommen sind oder ihre Reise absagen, sind sie Urlauber*innen oder - nach der GfdS - Urlaub Machende bzw. Heimkehrende oder Daheimgebliebene.
Hingegen sind Waldbesitzende immer Besitzer*innen eines Waldes oder Menschen, die einen Wald besitzen. In solchen Fällen kann das Partizip sicher eine Lösung sein, ohne die deutsche Grammatik aufzulösen.
Mit Fantasie zur gendergerechten Sprache
Klar ist, dass bei Wörtern wie Kund*in, Ärzt*in oder Bäuer*in weder Grammatik noch Orthographie stimmen (beim ersten Wort fehlt ein „e“ beim zweiten und dritten steht der Umlaut eigentlich nur für die weibliche Form). Klar dürfte auch sein, dass sich nicht jedes Verb oder Adjektiv zum Zustands-Partizip eignet. Und offensichtlich hat das generische Maskulinum ausgedient. Also müssen wir neue Wege finden, um allen Geschlechtern gerecht zu werden, sowohl im Schreiben als auch im Sprechen. Denn das Gendersternchen zu sprechen, ist wohl die größte Herausforderung.
Daher denke ich: Mit ein bisschen Fantasie und Übung, können wir in vielen Fällen auf das Gendersternchen - oder andere Gender-Satzzeichen - verzichten und müssen auch das Partizip nicht bemühen. Bauern und Bäuer*innen könnten Menschen, die Lebensmittel erzeugen oder landwirtschaftliche Fachkräfte, Biodiversitäts-Fachkräfte etc. heißen. Arzt und Ärzt*in sind Personen, die andere Menschen behandeln und heilen. Und Kunden und Kund*innen dürfen Sie gern persönlich ansprechen: Aus „Als unser*e Kund*in…“ wird bspw. „Wenn Sie Ihr Konto bei uns führen,…“. So werden die Worte und Sätze gleichzeitig gendergerecht und persönlicher, bezeichnen die Menschen differenzierter und erzeugen so mehr und buntere Bilder im Kopf als die Berufs- oder Zustandsbezeichnung allein.
Die deutsche Sprache gibt uns viele - wenn auch nicht alle - Möglichkeiten, uns so gut es geht gendergerecht auszudrücken: „alle“ statt „jedermann“, „Mensch“ oder „Person“ statt „Mann“ oder „Frau“, „Fachkraft“ statt „Fachmann“, „Kaufmensch“ statt „Kauffrau“ oder „Kaufmann“. Sprache ist kreativ und darf auch so genutzt werden. Erfinden Sie Wörter! Denn neue Wörter und Begriffe haben noch einen großen Vorteil: Sie sind nicht von Frames (während der Sozialisierung erlernte Bilder) besetzt, das heißt, Sie können das neue Wort mit Ihrem Inhalt füllen.
Und warum nicht wirklich weiterhin Frau und Herr Doktor sagen? Frau und Herr Kapitän schreiben? Und die englischen Wörter lassen, wie sie sind? Denn im Englischen ist die Gendergerechtigkeit ja bereits in der Sprache immanent, kein bestimmter Artikel, keine weibliche und männliche Endung: die und der User, der und die Star, der und die Influencer etc.
Gleiches „Sprech“ für alle
Die Gleichbehandlung aller Geschlechter und damit auch eine Sprache, die alle meint und Gleichwertigkeit auch abbildet, liegt mir durchaus am Herzen. Doch meines Erachtens falsch verwendete Partizipien und politisch überkorrekt gesetzte Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche fühle ich als Vergewaltigung meiner Elternsprache. Und das tut mir weh.
Tipps zum Thema:
Geschickt Gendern - Hier sind zwar auch einige gruselige Vorschläge dabei, aber als Inspiration ist die Seite geeignet.